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Beitrag vom 10.05.2013
Lokale Katastrophe - globale Verantwortung. Initiativen wie Clean Clothes Company, avaaz, IndustriALL Global Union rufen zum Protest auf
Veronika Siegl
Es war nicht der erste Vorfall dieser Art, als Ende April 2013 in Bangladesch ein Fabrikgebäude zusammenbrach und Hunderte Näherinnen unter sich begrub. Eine Petition soll nun Unternehmen ...
... unter Druck setzen, das "Abkommen über Brandschutz und Gebäudesicherheit" zu unterzeichnen.
Nicht ohne Grund wird Bangladesch in den Medien oft als "zweite Nähstube der Welt" bezeichnet. Mit rund 5.000 Textilfabriken im Land nimmt sowohl die nationale Textilindustrie in Bangladesch als auch Bangladesch in der internationalen Textilindustrie eine wichtige Rolle ein. Textilien sind das wichtigste Exportprodukt des Landes, der Industriezweig verzeichnet jedes Jahr beeindruckende Wachstumsraten. Immer mehr auf den nordamerikanischen und europäischen Markt ausgerichtete Unternehmen verlegen ihre Produktionsstandorte aufgrund der unvergleichbaren Niedriglöhne von Indien oder China nach Bangladesch.
Die geringen Produktionskosten gehen nicht nur finanziell, sondern auch in Bezug auf Sicherheits- und Gesundheitsstandards auf Kosten der 3,6 Millionen TextilarbeiterInnen, von denen der Großteil junge Frauen sind. Gegen die Verpflichtung zu und Implementierung von fairen Arbeits- und Sicherheitsbedingungen legen sich sowohl Industrie als auch Regierung quer. Wie der Mord an Aminul Islam im April 2012 zeigte, ist das auch kein ungefährliches Unterfangen. Der bangladeschische Aktivist hatte sich seit langem für die Rechte von TextilarbeiterInnen und deren gewerkschaftliche Organisierung eingesetzt. Für sein politisches Engagement war er bereits einige Jahre zuvor festgenommen und gefoltert worden, von privaten und staatlichen Sicherheitsfirmen wurde er überwacht und hatte zahlreiche Drohungen erhalten.
Niedrige Löhne zu hohen Preisen
Der Mangel an arbeitsrechtlichen Standards hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Todesopfer gefordert. 2006 starben etwa 85 Menschen beim Brand einer Fabrik in der Hafenstadt Chittagong, weil die Notausgänge blockiert waren. Im November 2012 war in einem Gebäude im Industriebezirk Savar, nahe der Hauptstadt Dhaka, ebenfalls ein Brand ausgebrochen, der über hundert Menschen das Leben kostete. Die ArbeiterInnen der Fabrik konnten das Gebäude nicht verlassen, weil es keine Notausgänge gegeben hatte. Ein Umdenken auf politischer und wirtschaftlicher Ebene ist hoffentlich mit dem tragischen Unglück vom 24. April 2013 erreicht, als das Hochhaus Rana Plaza in Savar einstürzte, in dem mehrere Textilfabriken unterbracht waren. Laut Presse befanden sich zur Zeit des Unfalls ca. 3.000 Menschen in dem Gebäude, über 1.000 wurden unter den Trümmern begraben. Am Tag zuvor waren bereits Risse im Gebäude bemerkt und gemeldet worden, die Näherinnen wurden aber dennoch dazu angehalten, weiterzuarbeiten.
In der Bevölkerung ist der Zorn groß. In den Tagen nach dem Einsturz gingen zahlreiche DemonstrantInnen auf die Straße, um ihre Rechte einzufordern. So blockierten mehrere hundert Personen eine wichtige Verkehrsstraße, die die Hauptstadt mit dem Süden des Landes verbindet.
In der Zwischenzeit kam es Anfang Mai 2013 erneut zu einem Brand in einer Textilfabrik in Dhaka, bei dem acht Personen starben.
Ein "quick fix" reicht nicht
Zahlreiche internationale Firmen ließen in den Fabriken im Rana Plaza produzieren, unter ihnen Marken wie Mango (Spanien), Primark (Irland) oder Benetton (Italien). Auch wurden in den Trümmern Kleidungsstücke der aktuellen Kollektion vom deutschen Textildiscounter KiK gefunden, der sich laut Meldung des NDR-Formats "Panorama" vom 2. Mai 2013 zunächst als "überrascht" und "erschüttert" zu dem Fund positionierte, da es seit 2008 keine direkten Handelsbeziehungen zur Rana Plaza gegeben haben soll. Auch der deutsche Discounter NKD bestätigte Medienberichten zufolge, die Produktion in Rana Plaza Mitte 2012 eingestellt zu haben.
Viele Unternehmen weisen die Verantwortung von sich oder verabsäumen es, wesentliche Veränderungen zu initiieren. Ineke Zeldenrust von der Clean Clothes Campaign"Clean Clothes Campaign" kritisiert, dass Unternehmen in Bezug auf Sicherheitsstandards nur an einem "quick fix" interessiert seien, statt an strukturellen Lösungen und bezeichnet ein solches Verhalten als kriminell und fahrlässig.
Die 1989 gegründete Clean Clothes Campaign ist ein Zusammenschluss verschiedener europäischer Organisationen, darunter Gewerkschaften oder NGOs. Sie setzt sich für die Verbesserung von Arbeitsbedingungen in der globalen Textilindustrie ein.
Auch die christliche Initiative Romero ist Teil der Clean Clothes Campaign. Kirsten Clodius, Mitglied der Initiative, spricht in einem Interview mit dem Deutschlandradio vom 25. April 2013 von Fortschritten unter den Unternehmen im Textilbereich. Innerhalb Deutschlands erwähnt sie Jack Wolfskin, VD und Schöffel als Positivbeispiele im Bereich Sozialstandards, macht aber auch darauf aufmerksam, dass es oft schwierig ist, zwischen Marketingstrategien und tatsächlichem Engagement zu unterscheiden.
Fast zynisch mutet es an, wenn KiK auf seiner (Website schreibt, dass das Unternehmen seine "gesellschaftliche Verantwortung als international agierendes Handelsunternehmen" wahrnimmt und daher "zahlreiche Projekte zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Bangladesch" initiiert und unterstützt. Laut einer Pressemitteilung) der "Kampagne für Saubere Kleidung" war es das dritte Mal innerhalb von acht Monaten, dass KiK in ein Fabrikunglück in Bangladesch involviert war.
Die Schuldfrage – ein Teufelskreis
Wer trägt die Verantwortung für Katastrophen wie die in den Textilfabriken in Bangladesch? Die KonsumentInnen, die internationalen Firmen, die lokalen Mittelsmänner und -frauen, die Staaten, das System? Bei dieser Frage beißt sich die Katze in den Schwanz – zu vielschichtig ist das Problem, um den Finger nur auf eine Partei zeigen zu können. Als KonsumentIn sollte mensch auf jeden Fall nicht ohnmächtig die Verantwortung von sich weisen, sondern sich über die Produktionsbedingungen von Waren informieren (Tipps siehe unten) und über bewusstes Einkaufs- und Wergwerfverhalten nachdenken. Auch wäre es wichtig, die Anfang Mai 2013 von zivilgesellschaftlichen Initiativen – u.a. Clean Clothes Company, avaaz, IndustriALL Global Union – lancierte Petition zu unterschreiben, die in Bangladesch produzierende Textilunternehmen zur Unterzeichnung des "Abkommens über Brandschutz und Gebäudesicherheit" mobilisieren soll. Das Abkommen soll u.a. zu regelmäßigen Gebäudeinspektionen von unabhängigen ExpertInnen, zu Transparenz in Bezug auf die Kontrollen, zu betrieblichen Arbeitsschutzkomitees und Reparaturen verpflichten. Es wurde bereits vor etwa zwei Jahren von nationalen und globalen Gewerkschaften und Arbeitsrechtsorganisationen erarbeitet, bis jetzt allerdings nur von den zwei großen Kleidungsunternehmen Tchibo und von der US-amerikanischen Phillips-Van Heusen Corp. (PVH) und ihren Marken Calvin Klein und Tommy Hilfiger – unterzeichnet.
Grund zur Hoffnung auf Verbesserungen liefert der Erfolg einer Kampagne, die nach dem Fabrikbrand 2012 gestartet wurde und drei europäische Textilunternehmen – u.a. Kik und C&A – zur Zusage von Entschädigungszahlungen bewegen konnte.
Die Petition kann unterzeichnet werden unter: www.cleanclothes.org/action
Weitere Informationen:
Kurzinfo: Brandschutz-Abkommen in Bangladesch
Clean Clothes Campaign
Kampagne für Saubere Kleidung
Literaturtipps zum Thema der Kampagne für Saubere Kleidung
Informationen zu Markenprofilen der Christlichen Initiative Romero (CIR)
"Das Unglück muss ein Weckruf sein" (taz)
"Clean Clothes" fordert konkrete Abkommen der Textilindustrie (Deutschlandradio)
Was machen die Textilkonzerne? (Die Zeit)
Killing of Bangladeshi Labor Organizer Signals an Escalation in Violence (New York Times)
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Terre des Femmes Vortragsreise - Gäste aus Bangladesh klagen deutsche Discounter an
Das neue Schwarzbuch Markenfirmen - Klaus Werner und Hans Weiss (2006)
Quellen:
Clean Clothes Campaign
Kampagne für Saubere Kleidung – der deutsche Zweig der Clean Clothes Company
Avaaz – ein weltweites Kampagnennetzwerk
Deutschlandradio
BBC
New York Times
taz
Die Zeit
dieStandard